Geschichte der Basler Herbstmesse
Heutzutage ist die Basler Herbstmesse die grösste Vergnügungsmesse der Schweiz – mit einer landesweit konkurrenzlosen Vielfalt an Fahrbetrieben und originellen Verkaufsständen. Die Tradition dieser Messe ist in Basel tief verwurzelt, sie lebt im Herzen der alten Stadt. Das ist nicht weiter erstaunlich, gerade wenn man berücksichtigt, dass «d Hèèrbschtmäss» auf eine lange, spannende Geschichte zurückblicken kann, die bereits im 15. Jahrhundert beginnt, an deren Anfang ein Kaiser, ein Papst und ein engagierter Bürgermeister stehen. Die Basler Herbstmesse hat ihr Gesicht während der Jahrhunderte immer wieder verändert, sich den Bedürfnissen und Umständen der Zeitläufe angepasst: So hat sie das Mahlwerk der Zeit überdauert und ist, auf ihre ureigene Art, immer jung, immer frisch geblieben. Eine beachtliche Karriere für eine Veranstaltung, die erstmals am 27. Oktober 1471 eingeläutet wurde. Seine einzigartige Geschichte hat den Brauch «Hèèrbschtmäss» zu etwas Einzigartigem geformt, das – bereits von Anfang an – auch schon vielen Gästen aus dem In- und Ausland Freude bereitete.
Die «freie Stadt» Basel genoss im 15. Jahrhundert einen hervorragenden Ruf. Sie gehörte mit zum «Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation», sie wurde von Zeitgenossen als wohlhabend, sicher und ausserordentlich fromm gepriesen. Diese Eigenschaften waren, wenn wir so wollen, die Marketinginstrumente jener Zeit: Sie stellten den Grund dafür dar, dass die Stadt am Rheinknie für würdig befunden wurde, ein grosses Reformkonzil der Kirche zu beherbergen.
Merianplan. Vor über 400 Jahren übergab Matthäus Merian dem Basler Rat seine Stadtansicht Basels aus der Vogelschau. Universitätsbibliothek Basel
So eine Versammlung der wichtigsten Vertreter der abendländischen Christenheit ermöglichte der Gaststadt einen beachtlichen wirtschaftlichen Aufschwung: Sie bescherte dem Handel und den Wirten mehr Kundschaft, löste städtebauliche Massnahmen aus und brachte der damaligen Verwaltung Mehreinnahmen, die etwa in Form von Strassen- und Brückenzöllen in die öffentlichen Kassen flossen. Fast zwei Jahrzehnte lang tagte das grosse Konzil zu Basel, von 1431 bis 1449: Zwei Jahrzehnte, die Basels Gesicht dauerhaft veränderten, das Konzil löste zum Beispiel die folgenreiche Gründung der Universität aus.
Auf Konzil folgt Krise
1449, pünktlich zum Ende des Konzils, fiel die Stadt allerdings in eine Krise, eine eigentliche Depression: Krankheiten, Hungersnöte und Kriege im nahen Ausland folgten auf die fetten Jahre der günstigen Entwicklung. Es wurde fieberhaft nach Möglichkeiten gesucht, einen wirtschaftlichen Aufschwung auszulösen. Die Einsetzung eines regelmässig stattfindenden Jahrmarkts sollte unter anderem dabei helfen, damals auch für eine «freie Stadt» eine gewichtige Sache. Zur Durchführung einer solchen Veranstaltung bedurfte es nämlich einer Bewilligung des Kaisers, damals Friedrich III. (1415–1493) aus dem Hause Habsburg. Diese war allerdings nicht ganz einfach zu erhalten. Es galt nun, die Aufmerksamkeit des Monarchen zu wecken. Es wurde also eine Delegation vom Rheinknie nach Rom zu Papst Pius II. (1405–1464) entsandt. Dieser Papst war Basel wohlgesinnt: Mit bürgerlichem Namen hiess er Enea Silvio de' Piccolomini, während des Konzils hatte er einige Zeit am Rheinknie verbracht: Man kannte den Papst in der Stadt. Eine vorteilhafte Situation. Pius II. liess dem Kaiser 1459 ein Schreiben zukommen, in dem er diesem empfahl, Basel einen Jahrmarkt zu erlauben.
Von Bärenfels macht‘s möglich
Dann verstrich erst einmal viel Zeit. Irgendwie war das Schreiben auf den Irrwegen der damaligen Hofbürokratie verloren gegangen. Es war der Basler Bürgermeister Hans von Bärenfels, der das Jahrmarktsprojekt zehn Jahre später wieder aufnahm. Er begann zu diesem Zweck, daheim und im Ausland, Überzeugungsarbeit zu leisten. Im Frühling 1471 beschloss der Rat der Stadt «von einer messe wegen an den keyser ze werben». Gesagt, getan: Am Donnerstag, 11. Juli 1471, wurde dem Bürgermeister endlich eine Urkunde mit dem Siegel des Kaisers ausgehändigt: Dieses wichtige Schreiben garantierte der Stadt Basel das Messeprivileg «für alle Zeiten».
Urkunde der Verleihung des Messeprivilegs an die Stadt Basel von 1471, in kalligrafischer Schrift mit Siegel des Kaisers Friedrich III.
Eigentlich wurde Basel damals durch den Kaiser die Durchführung zweier zweiwöchiger Jahrmärkte pro Jahr erlaubt, einer im Frühjahr, der andere im Herbst. Die Frühjahrs- oder Pfingstmesse fand allerdings nur für kurze Zeit statt und versank dann in den Nebeln der Geschichte. Am 27. Oktober 1471, dem Sabinentag, läuteten die Glocken des Basler Rathauses die erste Basler «Hèèrbschtmäss» ein, vom Stadtschreiber wurde die Eröffnung auf dem Kornmarkt «im nahmen gottes» offiziell ausgerufen.
Kaufleute, Gaukler, Dirnen und Gauner
Nun hob innerhalb der Stadtmauern ein lockeres, fröhliches, saftiges Jahrmarktvergnügen an. Händler boten ihre Produkte feil, Speis und Trank wurden in rauen Mengen verkauft, Gaukler und Sänger zeigten ihre Künste, allerlei Spiele und Unterhaltungen wurden dem Volk geboten. Die Veranstaltung zog aber auch Gestalten aus dem damaligen «Underground» in die Stadt. Gauner, Falschspieler, Dirnen und deren Zuhälter kamen nach Basel, um die Messebesucher, die aus allen Gegenden Europas ans Rheinknie strömten, um ihr Erspartes zu erleichtern.
Deshalb wurden von Anfang an Sicherheitsmassnahmen getroffen. Drei Ratsmitglieder waren speziell für die Messepolizei verantwortlich. Ein eigens einberufenes fünfköpfiges Messegericht urteilte Fälle von Diebstahl, Gewalt und Betrug ab – es schlichtete auch Streitigkeiten zwischen Händlern. Berittene Söldner bewachten alle Strassen nach Basel, nur ausgewählte Stadttore waren geöffnet, dies ermöglichte eine bessere Kontrolle der Besucherströme. Während der Zeit der Herbstmesse genossen fremde Handelsleute in der Stadt die gleichen Rechte wie einheimische Gewerbetreibende. Geheimnisvolle Produkte aus der Fremde waren in der Folge eine der grossen Attraktionen der ersten Herbstmessen – und irgendwie ist das ja bis heute so geblieben.
Bahnen, Buden, Stände
Mit Spezereien und originellen Waren aus fremden Ländern fing es also an. Mit Moritatensängern, Ringkämpfern, sportlichen Wettbewerben, Jongleuren, Taschenspielern, Lotteriespielen sowie hin und wieder einem, manchmal eingefetteten, hohen Holzpfahl, an dem mutige Männer unter den Anfeuerungsrufen der Meute hochzuklettern versuchten – schliesslich lockten an seiner Spitze Schinkenwürste, mit Wein gefüllte Ledersäcke und ähnlich wohlfeile Gewinne. Heute bietet die Basler Herbstmesse ausgetüftelte mobile Fahrvergnügen auf der Höhe unserer Zeit, vom Freifallturm über die Achterbahn bis hin zu wilden Bahnen, deren Passagiere, beinahe möchten wir sie Astronauten nennen, bald nicht mehr wissen, wo oben und wo unten ist. Stände, die originelle Waren präsentieren und spezielles Naschzeug verkaufen, spielen aber nach wie vor eine grosse Rolle. Was die Süssigkeiten anbelangt, ist der «Mässmogge», jener klebrig-süsse, köstlich glänzende Brocken, den es in allen Farben gibt, die Basler Messespezialität Nummer eins.
Wer eine besonders geschichtsträchtige Süssigkeit versuchen möchte, wird auf dem Petersplatz fündig, dort gibt es nämlich die «Maagemòrsèlle», eine Jahrmarktsspezialität, die schon unsere Vorfahren genossen haben. Dagegen ist die beliebte Zuckerwatte eine eher junge Süssspeise, die es erst seit dem 19. Jahrhundert gibt, schliesslich verlangt ihre Herstellung eine einfache Zentrifuge – ein industrielles Werkzeug.
Das Karussell der Jahrmarktsattraktionen
Das Schleckzeug hat sich im Takt mit dem technischen Fortschritt entwickelt, genauso war es mit den anderen Attraktionen, die ein Jahrmarkt bieten muss, um seine Kundschaft in Entzücken zu versetzten. Vom einfachen Kletterpfahl zur Achterbahn mit Looping ist es ein langer Weg, der von Attraktionen gesäumt ist, die heute Geschichte sind, und von anderen, die sich stetig weiterentwickelt haben. Schon in frühesten Zeiten spielten an Jahrmärkten Zurschaustellungen aus der zwielichtigen Zone des Ungewöhnlichen, ja Übernatürlichen, eine grosse Rolle. Mysterien, Monster, Missbildungen wurden schon vor Jahrhunderten von Rummel zu Rummel verfrachtet, in Buden vorgeführt, die draussen von einem Marktschreier beworben wurden: «Sehen Sie die Wunder dieser Welt, die Dame mit Bart, die Frau ohne Kopf und Unterleib, den Wolfmann, Madame Venus, ein Medium, das Ihre geheimsten Gedanken lesen kann!» Diese Attraktionen, in den USA nennt man sie «Sideshows», gehörten lange Zeit untrennbar auch zur Basler Herbstmesse. Elemente davon überdauerten bis in die späten 1970er-Jahre hinein.
Auch Buden, in denen Zaubertricks, Kraftakte, Tierdressuren, Musikdarbietungen, Artistenkünste vorgeführt wurden, erfreuten sich lange Zeit grosser Beliebtheit. Unter diesen Künstlern gab es echte Stars, wie etwa den Entfesselungskünstler und Kraftmann Pius Buser aus Sissach. In der Zeit um den Zweiten Weltkrieg waren seine Darbietungen, teilweise an den Stil des grossen Bühnenzauberers Houdini angelehnt, während der Messezeit in aller Munde. In den späten 1950er-Jahren tauchten an der «Hèèrbschtmäss» dann plötzlich Buden auf, in denen die damals brandheissen – und vielen Leuten recht verdächtigen – Musikstile Blues und Rock ’n’ Roll gespielt wurden. Im 20. Jahrhundert brach zudem die Zeit der technisch immer ausgefeilteren Karusselle und fliegenden Bauten an: Der technologische Fortschritt und die Nutzung der Elektrizität lösten diesen Siegeszug der Bahnen aus, langsam, aber stetig. Die grosse Zeit der Attraktionsbuden war damit abgelaufen.
Von der rollenden Tonne zum Freifallturm
Am Anfang der Geschichte der Bahnen stehen Labyrinthe, einfache Laufgeisterbahnen und Dinge wie die rollende Tonne. Letztere war eine primitive Version des Spiels mit der Zentrifugalkraft: Die Passagiere lehnten sich einfach an die Innenwand einer riesigen Tonne, ohne Sitz oder Sicherheitsgurte. Das Ding begann sich sodann im Höllentempo zu drehen – und die Leute klebten an den Wänden fest. Danach mussten massenweise verlorene Portemonnaies und Taschenuhren eingesammelt werden. Bald schon erhoben sich auch zu Basel mobile Riesenräder, wobei sich ihre Höhe zu Anfang noch in – vergleichsweise – bescheidenen Grenzen hielt. Noch Mitte der 1970er-Jahre war die Basler Herbstmesse stolz auf ein gegen 20 Meter hohes Riesenrad, heute ist gegen 60 Meter Höhe die Norm. Diese Entwicklung ist exemplarisch für die Entwicklung der Fahrbetriebe: Immer höher, immer schneller, immer wilder war die Devise – und das ist bis heute so geblieben.
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurden immer mehr neue Bahnen geschaffen, einige von ihnen erreichten den Status von Kultmodellen: In den 1960er- und 1970er-Jahren waren dies zum Beispiel die Himalayabahnen und die so genannten Skilifte, schnelle Drehbewegungen – auf Bodenhöhe oder in der Luft – waren der Hit der Stunde. Kultmodelle, die damals noch der letzte Schrei waren, wie Calypso, Voom Voom oder Hully Gully, drehen teilweise noch heute auf den Messeplätzen, die in der Basler Innerstadt verteilt sind, ihre Runden. Neben ihnen stehen ihre Grosskinder: technisch komplexe Kopfunter-Fahrvergnügen, die ihren Passagieren Angst- und Freudenschreie entlocken. Die Basler Herbstmesse war mit ihrem Repertoire immer schon auf der Höhe der Zeit – und so ist es auch geblieben. Sie bietet eine Auswahl an Attraktionen für die verschiedensten Geschmäcker und Altersgruppen, die landesweit einmalig ist.
Messeglöckner, ein Basler Ehrenamt
So veränderte sich das Gesicht des Brauches im mächtigen Zeitstrom der Jahrhunderte. Und dabei blieb er immer ein Publikumsmagnet für Gäste aus dem In- und Ausland. In Krisenzeiten, etwa Ende der 1920er-Jahre, lief «d‘ Hèèrbschtmäss» manchmal auf Sparflamme, dann blühte sie wieder auf. Die städtischen Plätze, auf denen die Attraktionen Platz finden, änderten sich. Doch in Basel blieb das Vergnügen glücklicherweise immer ins innerstädtische Leben verwoben und immer auf mehreren Schauplätzen präsent. Ein Umstand, der stark zur Unverwechselbarkeit der Messe beiträgt: Sie wurde nie an einen peripheren Ort weit ausserhalb der Innerstadt verdrängt, wie dies in vielen anderen Städten geschehen ist. Deshalb ist die Verbindung der Baslerinnen und Basler zu ihrer «Mäss» und ihren Traditionen auch so stark: jene tiefe Verbindung, gerade auch zu speziellen Aspekten der Messe, wie etwa dem «Hääfelìmäärt» am Petersplatz, der schon seit dem 19. Jahrhundert eine echte Fundgrube in Sachen Keramikwaren darstellt.
Eine weitere heiss geliebte Basler Tradition stellt das jährliche Einläuten der Herbstmesse auf dem Turm der Martinskirche dar, das jeweils viele Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Martinskirchplatz lockt. Der zeremonielle Akt findet immer am ersten Tag der Herbstmesse statt, das ist jeweils der Samstag vor dem 30. Oktober. Früher besorgte der Siegrist der Kirche dieses Amt. Seit Jahrzehnten wird es nun – mit grösster Sorgfalt und grösstem Respekt dem Brauchtum gegenüber – von engagierten Privatleuten versehen. Schon lange kümmert sich Franz Baur, ein Mann, der seine Heimatstadt Basel durch und durch kennt und tief mit ihren Traditionen verbunden ist, um das fachgerechte Läuten der legendären Glocke. Als Lohn erhält er dafür, wie schon seine Vorgänger, jedes Jahr ein paar Handschuhe. Allerdings gestaffelt: Den einen Handschuh bekommt er nach dem Einläuten, den anderen nach dem Ausläuten der «Hèèrbschtmäss». Erst, wenn die ganze Herbstherrlichkeit gelaufen ist, kann er den verdienten Lohn geniessen und sich beide überstreifen – ein Zeichen protestantisch gefärbter Vorsicht seitens der Auftraggeber. Typisch Basel eben.
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